AV Reilingen

Mit dem  Athletenverein 1889 Reilingen e.V. bildet eine traditionsreiche Größe des Ringsports in Nordbaden, die eine Hälfte der RIngkampfgemeinschaft RKG Reilingen-Hockenheim e.V.

Der AV Reilingen selbst, kann bereits eine Deutsche Mannschaftsmeisterschaft, in der Saison 1981/82, verbuchen. Aus dieser Zeit entstammen auch die meisten der Ringertalente, die heute bei der RKG oder bei anderen Vereinen in Nordbaden, ihr können weitergeben. Man denke hier zum Beispiel an die „Laier-Brüder“ oder Erich Klaus.

Nach einer Durststrecke des Vereins, Ende der 90ziger bis Anfang 2000, konnte man in den letzten Jahren fast im Durchmarsch, bis in die Oberliga aufsteigen. 2008 und 2009 beendete man diese jeweils als Vize-Meisetr. Ebenfalls im Jahr 2009 geründet, wurde der offizielle Fan-Club des AV Reilingen, die AV Reilingen Supporters 09, die schon im Gründungsjahr die sensationelle Marke von 100 Mitgliedern knacken konnten.

Für die Saison 2010 hat man sich mit dem RSV 91 Hockenheim zusammengeschlossen und möchte in Form der RKG, den Ringsport in Reilingen und Hockenheim, wieder auf ein solides und nachhaltiges Fundament stellen.

An dieser Stelle möchten wir noch einen kleinen Auszug aus der Vereinschronik „100 Jahre AV R(eil)ingen Das Buch“ bringen. Geschrieben wurde dieses Buch von Gregory Heath

1979: Nicht zuletzt durch solche Einzelerfolge stand die Mannschaft um Hans Helminger am Ende der Saison mit dem respektablen Punktekonto von 30:6 in der Endrunde um die Deutsche Mannschaftsmeisterschaft, die mit den beiden Viertelfinals gegen Schifferstadt im Januar 1979 begann. Wider Erwarten leicht wurde diese erste Hürde genommen, so daß im Jahr des 90jährigen Vereinsjubiläums der AV Reilingen sich bei den Großen der Republik als endgültig etabliert betrachten durfte, auch wenn das Halbfinale wieder einmal gegen Aalen – verlorenging. Ein weiterer Gipfel war damit erklommen, der AV trug sich als 3. Deutscher Mannschaftsmeister in die Annalen der deutschen Ringsportgeschichte ein.

Gesättigt war man beim AV deshalb keineswegs, denn nun vollzog die Reservemannschaft des Vereins genau jenen Schritt, mit dem die 1. Mannschaft 11 Jahre zuvor das „Wunder von Reilingen“ eingeleitet hatte: Sie stieg im Januar 1979 von der Kreisklasse in die Landesliga auf. Ab Februar gingen die Mannschaftskollegen wieder getrennt auf Einzeltiteljagd, wieder mit ansehnlicher Beute. In Weingarten machten Georg Hocker, Wolfgang Laier, Edwin Schweikert, Erich Klaus und Willi Weißbrodt mit jeweils ersten Plätzen die Nordbadischen fast unter sich aus; im März errang Georg Hocker die Deutsche Vizemeisterschaft bei der Jugend und bescherte dem amtsmüden 1. Vorsitzenden Wolfgang Hoffmann einen versöhnlichen Ausstand.

Auch unter dessen Nachfolger Jürgen Hoffmann blieben große Erfolge freilich nicht aus: Günter Laier, das damals „knapp 57 Kilogramm schwere Kraftpaket mit dem zarten Bartflaum“ (Ralf Kattwinkel), fügte seinen bereits gesammelten fünf (!) Deutschen Meistertiteln (2 x Schüler, 1 x Jugend, 2 x Junioren) einen weiteren hinzu und setzte sich, gerade 18 Jahre alt, nun bei den Senioren die Krone auf. Bruder Klaus stand dem kaum nach und errang im Weltergewicht derselben Veranstaltung in Tuttlingen die Silbermedaille, mit der auch Willibald Liebgott im Halbschwergewicht dekoriert wurde. In der langen Siegerliste dieses Frühjahrs durfte einer natürlich nicht fehlen. Mit dem Titel-Hattrick im April machte sich Erich Klaus selbst zu einem der „Unsterblichen“ des deutschen Ringsports. Aber noch immer war die Einzelsaison nicht beendet, die Erfolgsserie Reilinger Ringer nicht gerissen. Im Mai 1979 verteidigte der neue Seniorenmeister Günter Laier seinen im Vorjahr errungenen Juniorentitel; im Juni wurde die Jugend des AV 3. Deutscher Mannschaftsmeister, und imAugust hing sich Erich Klaus nun auch bei der Weltmeisterschaft eine Bronzemedaille um.

Derweil waren die Vorbereitungen auf die neue Saison 1979/80 bereits voll im Gange und hatten eine einschneidende Veränderung mit sich gebracht: Nach über 16jähriger Tätigkeit beim AV trat im Juli der Trainer- Vater des „Wunders von Reilingen“, von seinem Amt zurück und überließ die sportliche Leitung Ernst Knoll, der seine aktive Laufbahn beendet hatte. Die Saat, die Hans Helminger 1963 gesät und fortan gehegt und gepflegt hatte, war noch immer nicht voll aufgegangen. Zwar war aus dem einstigen Pflänzchen eine üppig gedeihende Pflanze geworden, deren Blüten weithin sichtbar hervorragten, doch hatten sich noch nicht alle Blätter in ihrer vollen Pracht entfalten können. Zu dieser letzten Entfaltung trug ganz wesentlich ein Athlet bei, der im Juli 1979 beim AV anheuerte und der für die neue Saison das bis dahin leistungs schwache Freistil-Leichtgewicht besetzen sollte.

Und wie er besetzte! Selbst die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“, für die Jürgen Busche gelegentlich in Reilingen vorbei schaute, schwärmte nach wenigen Kämpfen des neuen Mannes, er demonstriere, „wie man mit seinem Gegner umgehen kann, als spiele ein Postbeamter mit einem übergroßen Paket Bauklötzchen, indem er es mal so mal anders legt, mal hochkant stellt, mal purzeln läßt – es ist grausam“. Mit dem „Postbeamten“ war niemand anders gemeint als ein mit türkischem Paß ringender Exil-Bulgare, ein Vizeweltmeister und zweifacher Europameister: Ismael Kosukoglu. Wenn Kosukoglu jeweils im abschließenden Kampf des Abends zur Tat schritt, war mehr als nur Ringkampf angesagt. Kosukoglu gestaltete seine Auftritte zum Kunstringen, das die Unterhaltung des Publikums als wesentlichen Anteil seiner Show mit einschloß.

Und in der Tat gelang dem AV mit seinem neuen Star etwas, was ihm zuvor verwehrt geblieben war: Ein 26: 14-Sieg in (!) Aalen. Dieses Ereignis machte freilich auch die Medien wach, und bald wurde gemunkelt, Aalen habe gegen den Emporkömmling nur verloren, weil Ahmet Akdag sich absichtlich von Klaus Laier habe besiegen lassen, um seinen finanziellen Forderungen Nachdruck zu verleihen. Ungeachtet der Tatsache, daß auch bei einem Sieg Akdags über Klaus Laier der Gesamterfolg für Reilingen nicht gefährdet gewesen wäre, tönte es bald in den Gazetten: nun hätten auch die Ringer ihren Bundesliga-Skandal. Derlei Schlagzeilen gingen aber im sportlichen Erfolgsboom des AV unter, so daß sich im September die Zeitungen fragten: „Wer schlägt eigentlich die Reilinger?“ Tatsächlich hatte der AV zu einem schwindelerregenden Durch­marsch angesetzt, der sich darin offenbarte, daß am 11.10.1979 beide AV-Teams ihre jeweilige Liga mit 16:0 Punkten anführten. Eine Woche darauf stand der Club mit 18:0 Punkten als Herbstmeister der Bundesliga Süd fest.

Gewissermaßen in der Halbzeitpause flogen zwei AV- Ringer kurz nach Bagdad zur Militärweltmeisterschaft, wo der eine, Erich Klaus, seinen Titel verteidigte, der andere, Willibald Liebgott, sich die Meisterschaft zum erstenmal sicherte. Die Rückrunde wurde ähnlich erfolgreich; und auch wenn der Revanche-Kampf gegen Aalen knapp mit 18,5:21,5 verlorenging, behauptete der AV seine Tabellenführung bis zum Ende der Saison und wurde erstmals in seiner Geschichte Südmeister der Ringer-Bundesliga. Wieder führte das Endrundenlos den AV und Schifferstadt zusammen, und wieder siegten die Reilinger, nicht nur auf der Matte. So schrieb die „Rhein­pfalz“ über den „Auswärtssieg“ der Fans: „Was die Lautstärke angeht, hatten die Fans des AV Reilingen ein derart gewaltiges übergewicht, daß es beinahe schon peinlich war.“

1980: Mit dem Erreichen des Finales gegen die scheinbar übermächtigen Wittener war man zwar weiter gekommen als je zuvor, satt war man aber noch lange nicht. Zum ersten Finalkampf in Witten fuhr man denn auch mit der optimistischen Hoffnung eines Außenseiters, der nichts zu verlieren und nur zu gewinnen hat. Trotzdem wurde schon der Hinkampf zu einer herben Enttäuschung, als die jungen Reilinger Athleten von dem Gebrüll der Witten-Fans, die ihren Trainer Schrader aufforderten, er solle seine Löwen loslassen, eingeschüchtert wurden und mit 14,5:25,5 ein sportliches Desaster erlebten. Noch immer geschockt von dieser deftigen Niederlage geriet man im Rück­kampf, der aus Platzgründen in Eppelheim ausgetragen werden mußte, erneut mit 17:23 unter die Räder, so daß man sich mit dem schon vor dem Finale Erreichten, der Vize- Meisterschaft, zufriedengeben mußte. Natürlich überwog im ersten Moment die Enttäuschung, doch hatte man mit dem Erfahrungszuwachs auch die ersten psychologischen Voraussetzungen geschaffen, die sich für das Bestehen in vergleichbar wichtigen Situationen als unerläßlich erweisen sollten.

Längst hatte die Enttäuschung nachgelassen und der Stolz auf den Erfolg die Oberhand gewonnen, als im März die Weichen für die neue Saison gestellt wurden: Vom KSV Wiesental kam Osman Demirci, und noch im gleichen Monat sicherte man sich die Dienste eines kleinen gebürtigen Spaniers mit Namen Femando Padilla, der neben Horst Steinle (von Kirrlach), Aladin Aydogan sowie Tekin özgul der Bundesliga-Mannschaft Reilingens zur Meisterschaft verhelfen sollte.

Ende März machte dann wieder Willibald Liebgott Schlagzeilen, der den deutschen Ringkampfsport um ein kurioses Kapitel bereicherte, indem er Deutscher Meister im Schwergewicht wurde und deshalb eine Woche später aus dem National- Kader flog. Zum Verständnis dieses Kuriosums muß man freilich wissen, daß Bundestrainer Heinz Ostermann, der im Halbschwergewicht mit Peter Neumaier und Liebgott über zwei Kandidaten für die EM verfügte, den Ausgang der DM in Hof an der Saale als letztes Nominierungskriterium gelten lassen wollte. Liebgott aber, der nicht glauben mochte, daß er an Neumaier vorbeikommen könne, meldete bei der DM kurzerhand für die nächsthöhere Gewichtsklasse und ging dem vorgesehenen Duell aus dem Weg. Daß er dann sogar Deutscher Meister wurde, brachte den Bundestrainer offenbar so in Rage, daß er Liebgott von der EM sowie von einer potentiellen Olympia- Teilnahme ausschloß.

„Wie ein Berserker“ (“ FAZ“) trainierte indessen ein anderer Reilinger, dem die Olympia- Teilnahme schon vor Jahresfrist zugesichert worden war, und der mit dem Gewinn seiner vierten Deutschen Meisterschaft in Folge diese frühzeitige Nominierung rechtfertigte. Erich Klaus, damals amtierender Bronzemedaillengewinner der WM, galt für Experten als eine der sicheren Medaillenhoffnungen, da er zum Zeitpunkt der Moskauer Olympiade im Zenit seines Könnens stand. Der Ausgang der Geschichte ist hinreichend bekannt: Im Mai 1980 beschloß das Deutsche Nationale Olympische Komittee (NOK) wegen des Einmarsches russischer Truppen in Afghanistan keine Sportler zur Olympiade nach Moskau zu entsenden. Des höchsten Sportler-Ziels beraubt, mußte Erich Klaus eine Erfahrung machen, die dem modemen Menschen über kurz oder lang nicht erspart bleibt: daß man nicht nichtpolitisch auf der Welt sein kann. 1981 Trotz solcher Nackenschläge belegte der AV mit seinem leicht demotivier­ten verhinderten Olympiasieger Erich Klaus zum Abschluß der Saison 1980/81 in der Bundesliga Süd den zweiten Platz und qualifizierte sich zum zweitenmal in seiner Geschichte für die Endrunde um die Deutsche Mannschaftsmeister­schaft, in der diesmal allerdings bereits das Viertelfinale zur Endstation wurde.

Erneut ließ man sich in Witten mit 25,5:10 überfahren und zeigte erst beim Rückkampf, den man nur noch knapp mit 19:21 verlor, daß man an Reife und Erfahrung hinzugewonnen hatte. Nach zweijähriger Lehrzeit beim Meister Witten sollte Reilingen erst im Folgejahr selbst die Meisterprüfung ablegen. Andeutungen auf diese bevorstehende Meisterprüfung gab es – im nachhinein betrachtet – genug. Die Fülle der im Frühjahr 1981 errungenen Einzelmedaillen, aus der vor allem die Vizemeisterschaft von Erich Klaus bei der EM (die in etwa der Moskauer Olympia-Konkurrenz gleichzusetzen gewesen wäre) herausragte, gab einen Vorgeschmack auf das, was die hochdekorierten Einzelkämpfer auch als Mannschaft zu bewegen imstande waren. Jedes einzelne Stückchen gewonnenes Metall war ein Pflasterstein auf dem Weg zum Gipfel, der schneller kaum hätte erklommen werden können. Nach der Vizemeisterschaft im Jahre 1980 hatte man sich beim AV die weiteren Steigerungsmöglichkeiten selbst stark eingeschränkt, zumal der KSV 07 Witten, der sich zu seinem 75jährigen Vereinsjubiläum natürlich mit der Meisterschaft schmücken wollte, noch immer als unschlagbar galt. Daher der realistische Anspruch der Reilinger, „nur“ die Endrunde zu erreichen. Daß es mehr werden konnte, deutete sich bald an: Nach Ablauf der Vorrunde stand man allein und ohne Verlustpunkte an der Spitze der Südtabelle, knapp vor Neuling Wiesental (mit dem ehemaligen AV-Coach Hans Helminger) und bequeme sechs Punkte vor Aalen.

In der Rückrunde, die lediglich durch die Auswärtsniederlage in Aalen getrübt wurde, wuchs der Vorsprung gegenüber der Konkurrenz bald auf beruhigende 10 Punkte an, so daß schon zwei Kampf tage vor Rundenschluß die Südmeisterschaft sicher war. Im Gegensatz zu den anderen Mannschaften blieb dem AV damit ein wenig Zeit, sich auf die erste Endrundenbegegnung vorzubereiten, auch wenn man erst am letzten Kampf tag erfuhr, daß der Gegner wieder einmal Schifferstadt hieß.

Dort aber präsentierte sich die Mannschaft um Erich Klaus in einer fürchterlichen Verfassung, die sich im deprimierenden Ergebnis von 13,5:23,5 für Schifferstadt niederschlug. Alle drei Laier- Brüder hatten ihre Kämpfe verloren, die Endrunde schien bereits bei der ersten Station zu Ende zu sein. Die Stimmung im AV-Lager war mies. Erich Klaus, der im Allgäu an einem Trainer Fortbildungslehrgang teilnehmen sollte, brach diesen frühzeitig ab und wandte sich schriftlich an den Bürgermeister, er möge doch im Hinblick auf den Rückkampf gegen Schifferstadt ausnahmsweise die große Sporthalle für das Abschlußtraining zur Verfügung stellen, damit wenigstens die winzige Chance, doch noch ins Halbfinale vorzustoßen, wahrgenommen werden könne. Die Verfassung, in der sich die Mannschaft damals befand, geht am besten aus dem persönlichen Schreiben an Bürgermeister Helmut Müller hervor. In einer Mischung aus Traurigkeit und Leidenschaft schrieb Klaus:

“ … Nach unserer Niederlage beim VfK Schifferstadt ist die Stimmung in der Mannschaft schlecht. Esfehlt auch deshalb die Motivation, weil wir das Gefühl haben, sozusagen ‚verlassen‘ zu sein, keine Unterstützung der Leute spüren, die uns wichtig sind. Wir vermissen nicht nur Unterstützung, wir spüren darüberhinaus auch eine gewisse Genugtuung, daß man ‚es uns gezeigt hat‘, daß wir so hoch verloren haben. Das Training war nicht ausreichend, das zeigt der 10-Punkte-Rückstand. Das zeigt jedoch auch die Tatsache, wie wir verloren haben. Der Erfolgszwang, unter dem wir standen, weniger in sportlicher als in finanzieller Hinsicht für den Verein, der die Einnahmen aus den Endkämpfen sozusagen zum ‚überleben‘ braucht und das der Mannschaft auch deutlich machte, hat mit dazu beigetragen, daß die Niederlage unvorhergesehen hoch ausfiel. All den genannten Belastungen sind auch in andern Sportarten nur wenige Athleten gewachsen. Und das ist eigentlich das, was ich meiner Mannschaft gesagt habe. Meine Mannschaft wird am kommenden Samstag alles daran setzen, die 10 Punkte zu holen. Das können wir Ihnen und auch allen Freunden und Förderern unseresVereins zusagen. Es gilt jedoch mehr zu bedenken, wir müssen daran arbeiten, unsere Mannschaft auch dann zusammenzuhalten, wenn wir verlieren. Dies kann ich nicht allein, die Vorstandschaft auch nicht ohne Hilfe von Außen, Hilfe von Ihnen, Herr Bürgermeister Müller, erreichen. Wir brauchen das Gefühl, daß man zu uns steht, uns nicht nur dann unterstützt, wenn wir erfolgreich sind. Ich werde den Trainer-Fortbildungslehrgang vorzeitig abbrechen, um meiner Mannschaft ab Mittwoch wieder zur Verfügung zu stehen. – Es grüßt Sie Ihr Erich Klaus“

Der Bürgermeister hatte – wie so oft – ein offenes Ohr und schuf damit die Voraussetzung für den wohl größten und spannendsten Mannschaftskampf der gesamten Reilinger Ringergeschichte. Zum Helden unter den Helden wurde ein Mann, der in Reilingen als Papiergewichtler begonnen hatte und nun in der Kirrlacher Rheintalhalle im Leichtgewicht auf den in der Bundesliga noch unbesiegten polnischen Starringer Czeslaw Stanjek traf: Wolfgang Laier. Nach einem erwarteten 0:3-Punkterückstand, der die Aufholjagd seiner Mannschaftskollegen wertlos zu machen drohte, schaffte Laier unter Aufbietung aller physischen und psychischen Kräfte einen von wahrlich keinem vorhergesehenen 4:3- Punktsieg und ermöglichte den nicht anders als sensationell zu nennenden 25,5: 12,5- Mannschaftserfolg. Fremde Menschen, die allein durch das Ringen zusammengeführt worden waren, fielen sich in die Arme, gaben sich Küßchen und ließen sich in ihren Freudensprüngen nur durch das bebende Hallendach einschränken. Als dann für wenige Sekunden sogar der Strom ausfiel, dienten die allerorten strahlenden Gesichter als vollwertiger Lichtersatz. Ob Stromausfall odernicht- an diesem Abend konnten die Lichter für die Reilinger nicht ausgehen. Noch am folgenden Tag, als Klaus Angermann die Bilder des Kampfes in der ZDF-Sportreportage kommentierte, schlich sich beim Betrachter eine schaurigschöne Gänsehaut über den Rücken. Damit war – bereits im Viertelfinale – die Meisterschaft für den AV entschieden. Es war klar (so läßt sich wenigstens heute kühn behaupten), daß keine andere Mannschaft die AV-Truppe an Ehrgeiz und Motivation würde übertreffen können. Auch erstmals auftauchende Gerüchte, die Behörden könnten Reilingens türkischen Griffakrobaten Ismael Kosukoglu noch vor dem Finale aus der BRD zwangsausweisen, konnten den Elan der angehenden Himmelsstürmer nicht bremsen. So wurde im Halbfinale Goldbach im Sturm genommen (in Goldbach 20,5: 18,5, in Reilingen 28:11) und ganz Reilingen genoß bis zum Januar 1982 die Außenseiterrolle, die die sogenannten Experten dem Dorfverein im Finale gegen Witten zugedacht hatten.

Mit einem sportlichen wie finanziellen „Traumergebnis“ (Erich Klaus), einer knappen 18:20-Niederlage, kehrte man aus Witten zurück. Nun witterten freilich alle eine Sensation, die längst keine mehr war: Der AV war auf dem Weg zur Meisterschaft! Der Run auf die Karten stellte die Verantwortlichen vor ungeahnte Probleme, jeder wollte, sollte, mußte beim Rückkampf dabei sein. Dadurch geriet der Austragungsort, erneut die Kirrlacher Sporthalle, zu einer Kampfstätte doppelter Art.

Noch lange bevor die eigentlichen Akteure die Bühne betraten, hatten auf den Rängen unzählige Kämpfe – ohne Rücksicht auf Gewichts- oder Altersklassen – stattgefunden, immer verstellte gerade einer dem anderen, der sich just ein winziges Guckloch durch die übrige Zuschauerwand geschaffen hatte, den Blick. Kurz: Es war schlimm, es war sogar mitunter gefahrlich. Nach Anhörung zahlreicher vermeintlicher Augenzeugen läßt sich über den Kampf ein halbwegs lückenloses Protokoll anfertigen: Papiergewicht (gr.-röm.): Femando Padilla – Yilmaz Türkyilmaz Der Wittener bestimmt zunächst den Kampfverlauf, geht mit 2:0 in Führung und muß-über4:3 und5:5-erstmals beim6:5 den Reilinger „vorbeilassen“. Die zweite Runde steht dann ganz im Zeichen des Reilingers, der unaufhaltsam auf 13:5 Punkte davonzieht, bevor er 15 Sekunden vor Schluß zum Passivitätssieger erklärt wird. Zwischenstand: 4:0 Schwergewicht (Freistil): Willibald Liebgott – Bodo Lukowski Unglaubliches trägt sich zu, als Willibald Liebgott allein auf der Matte steht und sich vom Mattenleiter zum Zeichen des Sieges den Arm heben läßt. Gegner Lukowski hatte mit 81,9 kg ganze 100 g zu wenig auf die Waage gebracht, um in das Schwergewicht aufrücken zu dürfen.

Entsetzen bei Wittens Anhang, Weihnachts stimmung bei den Reilingern, die das Geschenk lautstark beklatschen. Zwischenstand: 8:0 Fliegengewicht (Freistil): Aladin Ayodgan – Selim Sari Solange die Puste reicht, hält Aydogan gut mit und liegt zur Pause nur mit 1:2 zurück. Im zweiten Abschnitt schleicht sich der Wittener Türke gegen den ermüdenden Reilinger auf 5: 1 davon und kommt 20 Sekunden vor dem Ende in den Genuß einer Konzessionsentscheidung des Mattengerichts: Aydogan ereilt das gleiche Schicksal wie Wittens PapiergewichtlerTürkyilmaz. Er wird wegen Passivität disqualifiziert. Zwischenstand: 8:4 Halbschwergewicht (gr.-röm.): Edwin Schweikert – Ralf Lukowski Mit über 13 kg im Nachteil ist das Konditionswunder Edwin Schweikert dennoch physisch überlegen und marschiert in gewohnter Weise zum Sieg. Die Wittener, die eigentlich einen Erfolg ihres Athleten erhofft hatten, können froh sein, daß Lukowski nicht von der Matte geschickt wird und nur eine 0:2Punktniederlage hinnehmen muß. Nach dem Ausfall auch des zweiten Lukowski im Team, macht in Witten bald die Wendung vom „doppelten LukowskiSchock“ die Runde. Zwischenstand: 11:4 Bantamgewicht (gr.-röm.): Georg Hocker – Fritz Huber Für das Finale hatten die Ruhrpott-Ringer mit Fritz Huber einen alten Bekannten „ausgegraben“. Der junge Georg Hocker, der im Finale ’80 noch im Papiergewicht hatte starten können, ist der aktivere Mann und bleibt bis zum 3:2 in Führung, die erst gegen Ende in ein 3:4 umschlägt. Trotz ständiger Attacken des Reilingers, die eine weitere Verwarnung an Huber zur Folge haben, gehen Sieg und Punkte an den Gast. Zwischenstand: 12:7 Mittelgewicht (Freistil): Klaus Laier – Hans-Joachim Klötzing Gegenüber dem Vorkampf (5:2 für Klötzing) ist Klaus Laier taktisch besser eingestellt und hält den vorsichtig geführten Kampf beim Stande von 1: 1 lange Zeit offen. Am Schluß gelingt dem routinierteren Ex-Hamburger ein entscheidender Punkt zum 2: I-Punktsieg. Zwischenstand: 13:10 Federgewicht (Freistil): Günter Laier – Hans Huber Beide Ringer erweisen sich in der Neuauflage des Endkampfs um die Deutsche Einzelmeisterschaft 1981 als absolut gleichwertig, so daß es kaum zu spektakulären Aktionen kommt. Aufgrund der zuerst erzielten Wertung gehen die Punkte beim Stande von 1:1 nach Witten.

Zwischenstand: 14:13 Weltergewicht (gr.-röm.): Erich Klaus – Karl-Heinz Helbing Der Schlüsselkampf. Die beiden „ewigen“ Konkurrenten, mehrfacher Leichtgewichtsmeister der eine, ebensolcher Weltergewichtschampion der andere, verzichten auf jede ästhetik und verausgaben sich voll. Bis zur Pause führt Klaus mit 1 :0, doch gleicht Helbing unmittelbar nach Wiederbeginn aus. In der Schlußphase entscheidet das unablässig anfeuernde Publikum den Kampf, indem es bei Klaus gerade noch so viel Kraft herauspreßt, daß es zum 3: 1­Punktsieg reicht. Zwischenstand: 17: 14 Leichtgewicht (gr.-röm.): Wolfgang Laier – Rainer Brockhoff Wieder ein Schlüsselkampf, denn es stehen sich die beiden besten Leichtgewichtler der abgelaufenen Saison gegenüber. Wie so oft, gerät Laier anfangs mit 0: 1 in Rückstand, den er aber mit einer starken zweiten Runde aufzuholen pflegt. Auch jetzt dreht er gegen Ende immer mehr auf und behält mit einem 3: I-Sieg die Oberhand. Damit erleidet Brockhoff erst seine zweite Saisonniederlage beide gegen Wolfgang Laier.

Zwischenstand: 20: 15 Leichtgewicht (Freistil): Ismael Kosukoglu – Michael Kuhn Für den Reilinger Anhang ist die Meisterschaft schon so gut wie gewonnen, denn mit Ismael Kosukoglu hat man ein weiteres Trumpf-As im ärmel. Zu seinem letzten Kampf für Reilingen wird er durch das tausendfache rhythmische Rufen seines Namens buchstäblich hereingerufen. Als er die Matte betritt, sieht man an seinem Blick, daß er einen grandiosen Abgang geplant hat. Schnell hat er sich eine 3:0-Führung erkämpft, die er unmittelbar nach der Pause um einen weiteren Zähler erhöht. Mitgerissen von der Stimmung im Saal hat er aber offenbar ein zu schnelles Tempo vorgelegt und muß den Wittener auf 3:4 herankommen lassen. Plötzlich wird auch den Reilingern bewußt, daß die Meisterschaft doch noch in Gefahr ist. Konditionell ausgelaugt, rettet sich Kosukoglu mit viel Geschick über die Zeit und gibt den Start frei für eine lange Meisterschaftsfeier. Endstand: 23: 16

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